Ich habe die Anfrage einer Mutter bekommen, ob ich ihrem Kind Nachhilfe geben könnte. Sie erzählte mir, dass das Mädchen in die 3. Klasse geht, komplett resigniert, nichts mehr für die Schule macht und die letzte Nachhilfelehrerin sie aufgegeben hat.
Ich hatte ein mulmiges Gefühl, denn das klang nach einer großen Herausforderung. Doch als ich dort war, nahm mich die ganze Sache mehr mit, als ursprünglich befürchtete.
Bevor ich das erste Mal hingefahren bin, hat mir die Mutter am Telefon unter anderem zu verstehen gegeben, dass es schwierig werden könnte, überhaupt mit dem Mädchen in Kontakt zu treten. Dementsprechend besorgt war ich schon auf der Hinfahrt. Ich überlegte mir immer wieder, wie ich es schaffen soll, überhaupt Kontakt aufzunehmen. Mir war aber klar, dass ich das einfach auf mich zukommen lassen muss.
Als ich ankam, versteckte sich gerade die Kleine unter einem Tisch. Sie sah nicht, wie eine Neunjährige aus. Eher, wie sechs.
Die Mutter sagte ihr, dass sie sich an den Tisch setzen soll und sie folgte der Aufforderung, schaute mich jedoch ängstlich an.
Um das Eis zu brechen, fragte ich sie, auf welchen Stuhl ich mich setzen soll. Sie zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber und ich setzte mich erleichtert, dass sie überhaupt auf mich reagierte.
Dann fragte ich sie nach ihren Namen. Sie sagte mir, dass sie Sophie* heißt. Weil mir klar war, dass es davon verschiedene Schreibweisen gibt, ließ ich sie ihren Namen aufschreiben. Auch das klappte und so langsam taute sie auf.
Das nutzte ich für meinen nächsten Schritt, herauszufinden, warum sie nichts mehr für die Schule machen möchte. Ich fragte sie, wie es ihr so in der Schule ergeht und war von ihren Antworten sehr berührt.
Sophie erzählte mir, dass sie die Schule gewechselt hatte und bereits am ersten Tag ein Kind zu ihr sagte: "Ich bringe Dich mit meiner Schere um!"
Zwei Kinder aus ihrer Klasse, die größer und älter als sie sind, haben sie unter Druck gesetzt und ihr bedroht, damit sie ihr Essen hergibt. Ich war sehr berührt, doch sie "beruhigte" mich: "Das geht inzwischen. Ich gebe ihnen jetzt immer das, was ich sowieso nicht mag." Ihre Mutter stand daneben und war entrüstet, weil ihr klar wurde, dass sie seit einiger Zeit mobbende Kinder mitversorgt.
Ich habe Sophie gefragt, ob sie schon einmal versucht hat, mit einem Lehrer darüber zu reden. Sie erzählte mir, dass die Lehrerin ihr sagte, dass sie zu empfindlich sei und sich sogar von ihr genervt fühlt.
Das spiegelt sich auch in den Klassenarbeiten nieder.
Ich bat Sophie darum, mir ihre letzten Arbeiten zu zeigen, um herauszufinden, wo genau ihre schulischen Probleme liegen. Sie kramte in Ihrer Tasche, holte dann zerknitterte Hefte und Blätter heraus und versuchte in dem ganzen Chaos ihre letzten Arbeiten zu finden.
Sie gab mir einige Blätter und flitzte los, um noch in ihrem Kinderzimmer nachzuschauen.
Auf den Arbeiten waren viele Fehler, die darauf hindeuteten, dass sie ganz offensichtlich die Aufgabenstellungen nicht verstand. Was mir noch mehr auffiel, waren die in rot geschriebenen Reaktionen der Lehrerin.
Bei einer Aufgabe, bei der nur die Ergebnisse standen, ging es wohl darum traurige oder lächelnde Smilies zu setzten. Es war die Aufgabe 11.
Ich versuche hier in etwa zu zeigen, wie das aussah:
11) :)
̶1̶̶2̶̶) ̶̶:̶)
12) :(
13) :/
14) :)
15) :(
Die Lehrerin hat geschrieben, dass es eigentlich nur fünf Antworten gibt und sie jetzt nicht unterscheiden könnte, welche richtig sei. Zudem war es die Aufgabe 11 a) b) c) d) e) f). Und sie könnte nicht immer erkennen, ob der Smiley lacht oder traurig ist.
Ich selbst habe fünf Antworten gesehen (eine war ja durchgestrichen) und konnte zumindest bei vier Smilies erkennen, ob sie lächeln oder traurig sind.
Die Lehrerin hat ihr für diese Aufgabe 0 Punkte gegeben.
Das war nicht die einzige Aufgabe, bei der die Lehrerin einfach 0 Punkte gab. Die Begründungen waren teilweise an den Haaren herbeigezogen.
Ich sehe keinen Grund, warum Sophie nicht frustriert sein sollte. Sie wird gemobbt. Die Lehrer nehmen sie nicht ernst und werten sie ab. In Arbeiten wird offensichtlich die kleinste Mühe nicht anerkannt und das Mädchen abgeschrieben.
Ich weiß noch gar nicht, wie ich dem Mädchen helfen soll. Ich hoffe, ich schaffe es, ihr ganz viel Mut zu machen und sie neu zu motivieren.
Das wird das erste Ziel sein.
Sie muss sowieso die Klasse wiederholen, dann können wir auch erst einmal an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten.
Es wird wirklich Zeit, dass ich mein
Gemeinschaftsdorf
verwirkliche, damit weniger Kinder sich in ein nichtfunktionierendes Schulsystem quetschen müssen.
Alles Liebe Eure